2013.11 Russland – ganz schön viel Eisenbahn
Russland (russisch Россия, Transkription Rossija; bzw. amtlich Russische Föderationoder seltener Russländische Föderation, russisch Российская Федерация, Aussprache?/i/Transkription Rossijskaja Federazija) ist ein föderativer Staat im nordöstlichen Eurasien und flächenmäßig der größte der Erde. Er zählt mit seinen rund 143 Millionen Einwohnern zu den weltweit am dünnsten besiedelten Flächenstaaten. Die Hauptstadt des Landes ist Moskau. Als weiteres wichtiges Zentrum gilt Sankt Petersburg, das zwischen 1712 und 1917 Hauptstadt war und eine architektonische und kulturelle Brücke Russlands nach Westeuropa bildet.
Quelle: Wikipedia
Durchschnittsalter:
2011: Frauen: 73 Jahre, Männer: 59 Jahre; Durchschnitt: 66,3 Jahre
2011: Frauen: 76 Jahre, Männer: 64 Jahre; Durchschnitt: 69,8 Jahre
(Quelle http://www.welt-auf-einen-blick.de/bevoelkerung/lebenserwartung.php)
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Samstag, 16. – Montag, 18.11.2013, Anreise Russland
Plötzlich ist es soweit – Mannheim Hauptbahnhof, meine Mutter bringt mich dort hin wie so oft, wenn ich zu Hause war, und auf der Anzeigetafel geht es über Hamburg nach Kopenhagen. Nur ist das Ziel Moskau – ca. 2.000 km mit der Bahn.
„Entschuldigen Sie bitte, wo ist Wagen 265 nach Moskau?“. Das „Heute nicht“ der Schaffnerin führt zu leichter Verwirrung. Glücklicherweise kommt die Auflösung prompt: „Der steht in Hannover, bis dahin bitte einen Platz in dem Wagen hier nehmen“.
Hannover, Montagmorgen 2 Uhr: Eine ganz eigene Stimmung – der Bahnhof nahezu menschenverlassen. Nur auf ein paar Gleisen sammeln sich Züge mit Namen aus ganz Europa und werden rangiert und neu zusammengestellt.
Ich steige ein in ein kleines Stückchen Russland – ein Waggon, Eisenbahndeutsch „Kurswagen“, Ziel Moskau. Der Zugbegleiter spricht so viel Deutsch wie ich Russisch. Sonntagmorgen um 5 steigt dann Vladimir, Geschäftsführer einer dt.- russischen Spedition in Berlin ein. Wir teilen das Frühstück und diverse „3 in 1“ Jacobs Kaffee.
Wenige Stunden später sind wir in Warschau, Haltestelle Warschau Ost. Peter, mein Grossonkel, und seine Kinder kommen zum Bahnhof und wir gehen frühstücken, in einem kleinen Stück Frankreich in Warschau. Der Zug hat fast zwei Stunden Aufenthalt, erneut werden Zugteile aus ganz Europa neu zusammengestellt.
Spannend wird es dann an der weissrussischen Grenze – Kommentar Vladimir „das ist kein Kindergarten“, „hier sind schon viele Tränen geflossen, von Leuten, die nicht reingelassen wurden“. In der Tat sind dies noch richtige Grenzkontrollen – mit Eisenbahnwaggons ableuchten und in die Gepäckfächer unter die Sitze schauen. Ein wenig komisch kommt dem Zollbeamten mein grosser Rucksack vor. Vladimir managed dies und trotz keinem Russisch kann ich die Reaktion des Zollbeamten auf „Sibiria“ klar im Gesichtsausdruck erkennen – nichts als Verwunderung. Die Bahn zuckelt gemütlich und gleichermaßen zügig durch die Landschaft.
Hinter der Grenze ist eine technische Meisterleistung zu beobachten – der Wechsel von europäische auf russische Schienenspurbreite. Rein in die Halle auf europäischen Achsen, raus aus der Halle auf russischen Achsen (größere Spurbreite). Dazwischen jede Menge flinke Hände, die Achskupplungen durch die Halle kranen, mit dem Hämmerchen nachhelfen und die Hydraulikhebeanlagen bedienen. Jeder Wagen wird einzeln hochgehoben, dazu ale Wagen voneinander getrennt. Dann werden die Achsen unter den Waggons weggezogen.
Nicht zu vergessen die Frauen mit vollgepackten Taschen, die von Bier, Äpfeln über Chicken allerlei anbieten. Ach ja, und dann noch andere Menschen, deren Aufgabe nicht klar ersichtlich ist.
Den Rest der Fahrt verbringe ich alleine im Dreierabteil. Auch sonst ist der Zug nahezu leer. Die Nacht tuckert der Zug dann durch Weißrussland, immer begleitet von der Signalpfeife der Lok, die an zahlreichen unbeschrankten oder auch noch mit Wärtern besetzten Schienenübergängen zu hören ist. Brest, Minsk und dann Montagmorgen mit einem herrlichen Sonnenaufgang die Ankunft in Moskau.
Wetter: Montagmorgen 10 Uhr, Sonnenschein, klarer Himmel, 1°C
Link: Spurbreite Russland – parovoz.com/spravka/gauges-story-de.html
Montag, 18.11., Moskau
Die Ankunft ist morgens in Moskau. Es ist kalt, aber erträglich. Mit der hervorragenden Beschreibung finde ich den Weg zu Freunden von Freunden aus Düsseldorf bestens.
Erst mal duschen – das gab es nämlich nicht in der Bahn. Ein kleines Waschbecken auf dem Flur, mehr nicht. Tut somit sehr gut.
Am frühen Nachmittag fahre ich mit der U-Bahn in die Innenstadt. Zwei Dinge gilt es zu erledigen – „Anmelden“ in Russland und die Fahrkarte Irkutsk – Peking abholen.
Die Anmeldung findet in einem Kellerbüro statt, dass ich nur mit Hilfe von Passanten (um den Häuserblock in zweiter Reihe zu finden) und einem Anruf in dem vermeintlichen Büro finde. Hinter einer Metalltür geht es in den Keller. Keine Beschriftung, nichts was darauf vermuten lässt, was hier getan wird. Für 30 € bekomme ich einen Zettel bzw. das Dokument, eigentlich erst morgen, aber sie tun ihr bestes und in zwei Stunden kann ich es abholen. Die ganze Situation wird noch durch die beiden Herren, die in dem Wagen vor der Türe parken und auf einem Laptop Mercedesmodelle anschauen, untermauert. Zwischendrin laufe ich durch die Stadt, über die „Moskau“ in ein anderes Stadtviertel, um die Fahrkarte zu holen. Dort ist das „Büro“ auch nur mit Hilfe von Menschen, die vor dem Gebäude stehen, zu identifizieren. Im 4. Stock sitzen dann zwei Damen an einer Bürotheke und händigen mir kichernd meine Fahrkarte aus. Ein Gang über den roten Platz zum Abend – sehr imposant und definitiv noch mal eine Reise wert, die Stadt.
Am Abend dann ein sehr gemütliches Abendessen mit und bei den Beiden zu Hause.
Dienstag, 19.11., Moskau – Samstag, 23.11., Irkutsk
Wie immer sehr zeitnah erreiche ich die Transsibirische Eisenbahn bei Kilometer „0“. Die Fahrt dort hin mit der U-Bahn führt durch fantastische U-Bahnhöfe.
im Abteil sitzt schon „Valentina“, die ca. 60 jährige Frau, strickend. Nach ca. 20 min. unaufhaltsamen Einreden auf mich, auf russisch, versteht sie, dass ich kein russisch spreche. „Germania“, „Frankfurt“ und „Irkutsk“ stellen die wesentlichen Punkte klar. Es wird eine gemütliche Fahrt. Ich schlafe viel. Valentina gibt mir von den kandidierten, definitiv eigenen Äpfeln ab. In Perm steigt sie aus und überlässt mir den Rest der Äpfel. Dass auch sie zwischendrin auf ihrem kindle liest ist ein Zeichen von voranschreitendem Fortschritt.
Es steigt Sergeij, ca. 50 Jahre alt, Eisenbahningenieur. Er spricht ein wenig englisch und wir können uns unterhalten. Abends bringe ich ihm ein Bier aus dem Restaurantwaggon mit. Kurz vor Jekaterinenburg passieren wir die geographische Grenze zwischen Europa und Russland.
In Jekaterinenburg, bis 1991 nicht von Ausländern besucht werden durfte, sind auf dem Bahnsteig die ersten Touristen seit Moskau zu sehen. Rachel, eine Engländerin und ein Kanadier steigen ein und kommen zu mir ins Abteil. Des weitere noch eine Australiern mit ihrer Tochter. Wir unterhalten uns viel und so wird die Fahrt sehr abwechslungsreich.
Der 4. Platz im Abtei wird immer wieder belegt („der freundliche“ Mitreisende, „der riechende Mitreisende“, „der unfreundliche Mitreisende“).
Die Zugbegleiterinnen lächeln sogar mal von Zeit zu Zeit. Nachmittags wird immer gesaugt und danach gewischt.
Auf den Schienen ist alles größer und länger als man es kennt. Riesige Güterzüge, die immer und immer wieder an einem vorbeifahren. Gleichermaßen überall Güterbahnhöfe. Und Zugfahren, zumindest die Fernzüge, hat noch ein bisschen etwas aus vergangenen Tagen.
Dann kommen wir an – nach über 3,5 Tagen Tagen auf der Schiene und über 5.000 km Strecke. Irkutsk Bahnhof – ich steige aus und ein Schild mit meinen Namen grinst mich an. Victor holt mich ab. Bei ihm und seiner Freundin werde ich die nächsten Tage übernachten. Es geht mit dem Bus in einen Vorbezirk der Stadt.
Sonntag, 24.11.2013, Baikalsee
Was macht man sonntags in Sibirien?
Victor bringt mich nach einem deftigen Frühstück zum „Marktplatz“. Ein Sammelsurium von Läden, teils modern, teils alt, in denen vor allem Kleider („Vorwendechic“) und Schuhe angeboten werden.
Dort setzt er mich in einen Kleinbus – vorne, da ist es besser – und erklärt dem Fahrer mich beim Museum am Baikalsee abzusetzen. Danach steige ich in ein Boot und fahre ein Stück auf dem Baikalsee, gehe ein Stück spazieren und dann wieder zurück an den Ausgangspunkt. Dort steige ich dann wieder in den Kleinbus und zurück nach Irkutsk. Soweit der Plan.
Abgesetzt werde ich am Museum. Dieses lässt auf Interessantes hoffen, denn am Eingang ist alles in russisch und englisch geschrieben. Am Eingang sitzt noch eine nette ältere Dame, die ein wenig deutsch spricht. Direkt bei der ersten Erklärungstafel, die etwas über die frühe Entstehung des Sees vermuten lässt, ist Schluss mit Zweisprachigkeit. Dies wird wenigstens konsequent durchgehalten bis zum Ende des Museums, inklusive der Fische aus dem See im Aquarium. Sehr interessant ist der fiktive Tauchgang in einem Tiefseeboot in die Tiefen des Sees. Wahnsinn, was sich in 1.600 m Tiefe tummelt.
Auch der Spaziergang am See entlang mit einem grandiosen Panorama passt noch zum Plan. Es ist so kalt, dass das Plastik des Rucksacks zu knistern anfängt (normalerweise ist dieses ganz weich) – es herrschen ca. -12°C.
Und jetzt soll eigentlich ein Boot im Hafen liegen oder mehrere, die eine Fahrt auf dem See ermöglichen. Die Fahrpläne gehen aber nur bis Ende September. Die Internetrecherche gestern Abend sagte anderes. Auch die beiden „Tourist Information“ Container sind geschlossen, Englisch überall Fehlanzeige.
Da kommt glücklicherweise der Markt – warmer und geräucherter Fisch. Beides wird nacheinander gekauft und in einem der Buden am See gegessen. Während ich noch in Gedanken scherze, dass sicherlich gleich jemand bei -5°C vorbeikommt und „Strandkorbgebühr“ verlangt, ist er auch schon da. 100 Rubel die Stunde – und er ist pünktlich nach den ersten 60 min. auch wieder da. Bootsfahrt ist heute nicht. Auf dem See bewegt sich nichts, außer den letzten Nebelschwaden.
Zwei russische Pärchen gehen vorbei und fragen „ni russki“? „Ni russki!“. Als ich mir die Hände in den 20% des weltweiten Süsswasservorkommens wasche, meinen die Vier ich solle doch zu Ihnen rüberkommen. Der Beginn eines russischen Mittags am Baikalsee.
Nur zur Erinnerung: -5°C und wir sitzen auf Bänken am See. Es wird Stück für Stück eine Flasche Schnaps (oder etwas derartiges) geleert und dazu gibt es Tee, Orangensaft, Hühnchen, Blini (Pfannkuchen), eingelegtes Kraut und Tannenzapfenfrüchte. Immer wieder frischer Tee und eine herrlich gemischte Unterhaltung in Russisch, Englisch und Deutsch: Anna (37, vier Kinder, Großvater deutsch, Mutter israelisch), Sascha (Ehemann von Anna, zum 3. mal verheiratet, insgesamt 4 Kinder, Vater israelisch, Mutter ukrainisch) und die Freunde (Ksenia, Ukrainerin/ Russin, er Armenier). Wir tauschen allerlei aus. Irgendwann kommt die zweite Flasche Wodka. Was ich alles so gelernt habe:
- Tschernobyl – wir erinnern uns. Sascha hatte das Angebot auch dort hinzugehen, mit 20 Jahren. Sein „Commander“ zerriss den Antrag. Heute ist er dankbar – sechs seiner Kameraden, die dort waren, sind mittlerweile gestorben.
- Menschen, die in der Nähe von Uranabbaugebieten sterben auch früh.
- Tannenzapfenfrüchte steigern die Potenz.
- Die Frauen haben die Oberhand in Russland.
- Moskau ist das Herz, aber Sibirien ist die Ader: Gold (siehe Finger von Anna), Diamant (siehe nächster Finger von Anna), Erz, Kohle, Holz. Alles kommt aus Sibirien.
- Russische Frauen sind extrem treu – auch wenn nach dem 14. Gläschen Wodka die gesteigerte Körpernähe dies nicht vermuten lässt.
- Sibirien mag den Minister nicht so sehr.
Zwischenzeitlich frage ich mich wie das Ganze weitergeht. Sascha trinkt nichts – er fährt. Dies gibt eine gewisse Sicherheit. Dann bieten sie an, dass sie mich mit nach Irkutsk nehmen. Da ich ohnehin nicht so sicher bin, wie ich zurück komme, nehme ich das Angebot gerne an. Und fahre, mit dem restlichen Hühnchen und Reis im Topf auf meinen Beinen, den letzten Vodka leerend und diversen Einladungen nach Angarsk zurück nach Irkutsk. Untermalt von russischen Liedern, die nichts Gutes auf die letzten Präsidenten geben. Man sorgt sich sehr um mich und gibt mir zu verstehen, dass ich gut ankommen werde.
Dass eine Waffe unter dem Sitz hinten liegt, die dem Armenier gehört, da er Security ist, möchte ich nur noch der Vollständigkeit halber erwähnen.
Sascha telefoniert mit Victor und wir treffen uns an einer Bushaltestelle. Eine herzliche, vodkauntermauerte Verabschiedung und ich fahre mit Victor mit dem Bus nach Hause.
Ein Sonntag am Baikalsee.
Baikalsee: www.der-baikalsee.de/
Wetter: Irkutsk, 10 Uhr, Sonnenschein/ bewölkt, -12°C
Montag, 25.11., Irkutsk
Ich schaue mir ein wenig die Stadt an und verbringe lange Zeit in einem Café, um mich ein wenig zu organisieren.
Die Stadt ist nicht besonders schön. Die alten Holzhäuser lassen vermuten, wie es hier vor ca. 100 Jahren ausgesehen hat. Den Museen nach auch definitiv die Blütezeit der Stadt als diese als Handelspunkt zwischen Asien und Europa fungierte. Nerz, Holz und Rohstoffe wurden schon damals vertrieben.
Heute besteht die Stadt aus teils modernen Häusern, den typischen Holzhäusern und Nachkriegsbauten. Die aktiven Brunnen, die teilweise auf den Straßen zu sehen sind, lassen auf fehlende Frischwasserversorgung schliessen.
In der Stadt bewege ich mich frei. Die Innenstadt ist überschaubar. Man wird zwar angeschaut, aber ein freies Umherlaufen ist völlig problemlos.
Abends treffe ich mich mit Viktor. Wir gehen zu einem mongolischen Restaurant und essen dort „Pose“ (eine Art Maultaschen) sowie „Cheburjek“ (eine Art Teigtasche). Sonst kocht Viktor immer sehr gut (Suppe, Blini (Pfannkuchen), Weizen, etc.) und üppig.
Zu Hause sitzen wir lange zusammen und dank des online-Übersetzers „unterhalte“ ich mich mit Viktor’s Freundin auch „fliessend“. Viktor spricht sehr gutes deutsch.
Wir gehen immer sehr spät ins Bett. Morgens um 7 Uhr ist dann aufstehen und Viktor und ich fahren gemeinsam mit dem Bus in die Stadt.
Dienstag, 26.11., Irkutsk
Heute besuche ich einige Museen. Ein anderer Standard als bei uns. Meist ist alles in russisch. In einem kleineren Museum über die Dekabristen gab es aber schöner weise alle Erklärungen in vier Sprachen.
In der Stadt sieht man viel Pelz.
Zwischendrin, auch zum Aufwärmen, die ein oder andere Kirche. Und wieder ein Café. Ich treffe Viktor bei seiner Arbeit und wir fahren wie allabendlich gemeinsam nach Hause.
Wetter: Leichter Schneefall, -15°C, Irkutsk
Dekabristen: sibiria.beryosa.net/dekabr/Dekabristen.html
Mittwoch, 27.11., Irkutsk – Sibirien
Um 8 Uhr fährt der Zug schon los. Victor bringt mich zum Bahnhof.
Es ist noch dunkel. Es wird erst gegen 9 Uhr hell. Ich bin gespannt wer im Abteil sein wird. Und während ich dem Schaffner folge und sich die Augen noch an das Dämmerlicht im Wagen gewöhnen, hören meine Ohren schon, dass ich nicht alleine sein werde im Abteil. Etwas liegt dort und schnarcht laut. Leicht dickbäuchig. Auf dem Boden eine Hartalkflasche und auf dem Tischchen ein offenes Jagdmesser und Essen. Der Mann hatte ein ausgiebiges Mal, mit sich.
Ich bleibe erst mal auf dem Gang und schaue aus dem Fenster, da ich den Baikalsee nicht verpassen möchte. Die heutige Trasse führt allerdings nur noch ein kleines Stück am See entlang. Der Schaffner holt mich zu sich, da man aus einem Fenster auf den See schauen kann (im Abteil ist das Rollo heruntergelassen und einen schlafenden Bären weckt man bekanntermaßen besser nicht).
Ich lese viel und irgendwann wacht Prado (oder so ähnlich) auf. Er versucht mit mir zu kommunizieren. Ich versuche ihm „Beijing“ und „Schiff“ zu erklären, dass er eine Geschichte hat.
Die Landschaft bleibt ähnlich. Viel Weite, Birken werden durch Kiefern abgelöst und immer wieder kleinere Ansammlungen von Holzhäusern. Die Toilettenhäuschen lassen auf die Infrastruktur schliessen. Alles unter einer dünnen Schneeschicht und schön anzusehen. Die Tage sind allerdings kurz. So ist eine Fahrt im Sommer sicherlich in Bezug auf mehr Leben außerhalb des Zuges von Vorteil, auch kann man länger die Landschaft genießen. Der Winter dagegen bietet ein wenig mehr Ruhe und die Sicherheit, nahezu der einzige Tourist zu sein.
Am Abend kommt dann noch ein weiterer Mann in das Abteil.
Prado und der Namenlose verstehen sich prächtig, leeren erst die nächste Flasche Cognac (aus Kasachstan) und dann eine Flasche Wodka. Ich werde auch zu dem ein oder andern Schlückchen eingeladen. Zwischendurch schaut noch der Zugbegleiter rein (oberkörperfrei, bis auf das Kreuz an der Kette) und macht paar Spässe. Danach gehen die Beiden dann noch ins Zugrestaurant.
Beide sind herzensgute Menschen und Prado versucht immer wieder mit mir zu kommunizieren. Auch nachts, als ich schon schlafe, weckt er mich, prasselt 10 min. auf russisch auf mich ein. Dann gibt er mit mit einem Grinsen die Hand und wankt aus der Türe.
Donnerstag, 28.11., Sibirien – Grenze zu China
Morgens werde ich von zwei grinsenden Mitreisenden und einem ersten Hauch von Wodka in der Luft geweckt. Die beiden haben schon wieder eine halbe Flasche intus. Sie sehen meinen Foto und wollen, dass ich ein Foto von ihnen mache. Nach dem zufriedenen Nicken beim Anschauen auf dem Display meint der Namenlose „New York Times“…
Der Gerechtigkeit halber muss ich sagen, dass der restliche Waggon völlig alkoholfrei ist. Ein paar junge Leute, das russische Pendant zum Kegelclub aus Wanne-Eickel und ein paar Geschäftsleute. Keine Touristen.
Der Namenlose steigt irgendwann aus. Prado schläft viel. Ich auch.
Die Strecke bis zur Grenze ist das letzte Teilstück ohne Elektrifizierung. Parallel wird aber schon an der derselbigen gearbeitet.
Nachmittags dann der russische Grenzbahnhof. Der Schaffner weiss, dass es nicht leicht sein wird Prado zu wecken. Normales Wecken hilft nicht. Er zückt sein Handy, spielt „Hands up, baby hands up“. Zwecklos. Das nächste Lied, das als Weckhilfe verwendet wird ist – ich glaube meinen Ohren nicht zu trauen – „Dschingis Khan“. Irgendwie und mit der Hilfe eines Verwandten am Bahnsteig schafft es Prado aus dem Zug, nicht ohne eine herzliche Verabschiedung.
Passend zu Prado lese ich irgendwann noch diesen Trinkspruch, der bei den Russen wohl immer der letzte sein soll: „Auf den Gehstock“ – mit diesem ging man im alten Russland nach einem Gelage nach Hause (aus „Russland Knigge“, Gaby Henze).
Insgesamt stehen laut Fahrplan 403 min. auf russischer Seite und 340 min. auf chinesischer Seite an den Grenzstationen auf dem Plan. An der russischen Grenzstation „Bilyutuay Station“ müssen alle aussteigen, denn die Waggons werden wieder auf eine andere Spurbreite umgebaut.
Ich mache einen Ausflug in das Örtchen. Die Suche nach etwas Schönem beginnt. Abgesehen davon, dass die Sonne schön scheint, gibt es nichts schönes. Und es ist wahnsinnig kalt.
Ich erinnere mich an das „Café“ im Bahnhofsgebäude und gehe dorthin. Ich esse Suppe und Blini. Zwei Touristen sind auch dort, ein französisches Pärchen. Für 8 Monate unterwegs, nur mit der Bahn und Bus in Asien. Wir unterhalten uns viel auf französisch und nach über vier Stunden steigt die Spannung ob denn der Zug noch da ist, wann er fährt und ob man uns Bescheid sagt. Kurz darauf erscheint auch schon jemand und gibt uns zu verstehen „Einsteigen!“. Und dann beginnt die Grenzabfertigung.
Beim Eintreffen in den Waggon ist bereits alles was geöffnet werden kann (Ablagefächer, Bettkästen, außenliegende Batteriekästen, etc.).
Nach etwas Warten kommt die erste Zollbeamtin vorbei. Sie bittet mich aufzustehen, schaut sich meinen Pass an. Ich bekomme ihn direkt wieder.
Danach erscheint die nächste, nicht ganz unattraktive Beamtin, die zudem mit gutem Englisch glänzt. Sie erklärt, dass sie „Customs“ macht. Der ca. 2m x 1m Schrank hinter ihr in Armeeklamotten macht allerdings weitergehende Kommunikation unmöglich.
Dann wieder eine Beamtin, die meint „stand up“, schaut sich lange den Pass an um dann mit einem „sit down“ kommentarlos meinen Pass in ihren Aktenkoffer verschwinden zu lassen. Der ist dann erst mal weg. Gesehen hat das keiner…
Das komplette Zuginnere wird nun durch mehrere Beamte untersucht, alle Klappen geöffnet, die Rollos bewegt und so weiter. Als nächstes dann ein schwarzer laufender Wischmopp, der wohl den Drogenhund mimt. Mehrfache Beschnupperung all meiner Sachen und hektisches auf- und abrennen im gesamten, nahezu leeren Waggon. Hier scheint sonst nicht viel los zu sein, wohl nur ein Zug pro Woche, außer den Güterzügen. Und zu bemerken ist, dass wir auf russischer Seite sind und Russland verlassen.
Dann wird gewartet. Irgendwelche Beamten laufen immer wieder durch den Zug.
Die geplante Abfahrt rückt näher und kurz vor der Abreise erscheint Frau „stand up“ und meint im exakt selben Ton wieder „stand up“. Sie schaut sich wieder lange den Pass an und meint „sit down“. Ich habe meinen Pass wieder, exklusive dem Einreisezettel von der weißrussischen Grenze.
Dann verlassen vier Beamtinnen den Zug und gehen an meinem Abteil vor. Die zweite ist Frau „stand up“, mit einem leichten Lächeln sagt sie „good bye“ ins Abteil. Die vierte in der Reihe kann diese Annäherung nicht gut heißen und poltert ein „doswidanja“ hinterher.
Auf chinesischer Seite dann das komplette Gegenteil des russischen Grenzortes. Wenige Meter nach der Grenze fährt man durch ein riesiges Torgebäude, in der Ferne sind strahlend weiß beleuchtete Gebäude zu sehen. Man gibt klar zu erkennen „hier fängt eine andere Welt an“. Der Zug zuckelt durch den Grenzbereich in den chinesischen Grenzbahnhof „Manzhouli Railway Station“. Und dann wieder warten.
Ein chinesischer Grenzbeamte kommt in den Zug, fragt auf englisch woher ich komme und gibt einen Einreisezettel aus. Danach dann eine Beamtin, die mich auf sehr gutem Englisch allerlei Dinge fragt, man kann eher sagen, sich länger mit mir unterhält. Was kostest ein Iphone in Deutschland, woher komme ich, sie schaut sich mein Fotomagazin an, fragt den Unterschied zwischen „Dutch“ und „Deutsch“, erzählt, dass sie einen BMW fährt, eine kleine Tochter habe, was mein Glauben ist (direkt im Anschluss an meine Mitteilung, dass ich nach Tibet fahre), warum ich teuer und lange mit der Bahn nach China fahre und und und. Es scheint wohl sehr komisch zu sein, dass jemand die Grenze im Winter als Tourist überquert. Das ganze Gespräch ist untermauert von dem Geschnarche des Zugbegleiters, der gerade Schichtpause hat und ein Abteil weiter mit offener Türe schläft.
Dann packe ich für die nächste Beamtin fast alles einmal aus und irgendwann kommt auch wieder der Pass zurück.
Ein Verlassen des Bahnhofs ist allerdings nicht möglich. Warum auch immer. Dafür gibt es ja den gemütlichen Aufenthaltsraum.
Die Lichter der Stadtbeleuchtung gehen irgendwann aus. Die Abfahrt verschlafe ich.
Freitag, 29.11., Mandschurei
Alleine, der ganze Waggon und die zwei Zugbegleiter. Heute morgen wache ich somit ohne Wodkaduft in der Luft auf. Mitten in der Mandschurei. Rechts und links sind endlose Steppe mit Gräsern, teilweise auch Felder.
Auf den Stoppelfeldern von Mais sieht man vereinzelt Menschen, die nach Überbleibseln von essbarem suchen. Es ist alles gefroren. Ein Hirte treibt seine Schafe auf die Felder. Auf den gefrorenen Seen und in den Sumpflandschaften sitzen immer wieder Angler vor ins Eis gehauenen Löchern oder bearbeiten Reusen.
Wenige Kilometer Differenz aber hier ist alles anders. In gigantischem Ausmass sind überall Baustellen zu sehen. Direkt neben der Strecke, die der Zug befährt wird eine neue Trasse gebaut. Zum Grossteil auf Stützpfeilern. Die nächste Hochgeschwindigkeitstrasse, die das schon gut ausgebaute Bahnnetz in China erweitern wird.
In den Städten werden Hochhäuser gebaut, nicht eins, nicht zwei, überall dutzende. Bahnhöfe von riesigem Ausmaß. Auch auf dem Land ist es zumindest aus der Ferne nicht so arm wie in Russland. Es gibt Steinhäuser, viel mehr Straßen und kaum alte Ruinen. Trotz der Kälte ist überall mehr Aktivität zu sehen. Und auch wieder Tiere – auf der gesamten Strecke in Russland habe ich weniger Tiere gesehen als hier an einem Tag.
Den Tag verbringe ich mit Aussicht geniessen, kümmere mich um Foto und Laptop und schlafe.
Auf den Bahnhöfen ist man auf den Bahnsteigen „gefangen“. Ich versuche irgendwo in die Bahnhofshalle zu kommen. Weniger gut gelaunte Bahnbeamte überzeugen mich davon, dass ich doch besser auf dem Bahnsteig bleibe.
In Changchun – ein ebenfalls riesiger Bahnhof, völlig neu – freuen sich die Arbeiter, die gerade die letzten Arbeiten auf dem Nachbargleis fertig machen, mindestens genauso mich zu sehen wie ich sie. Sie winken fröhlich zu. Es gibt wieder Menschen, die (ohne Grund) lachen und sich freuen.
Um 18 Uhr dann Abendessen im Restaurantwaggon – das möchte ich mir doch nicht entgehen lassen. Es gibt Schwein und Reis. Ein Schluck Wodka hinterher stellt sicher, dass alles gut vertragen wird.
Auffällig ist das kleine „Bahnhämmerchen“ wie ich es getauft habe, dass es auch schon in Russland gab. Ein winzig kleines Hämmerchen mit einem extra langen Stiel. Damit läuft jeder zweite Bahnbeamte rum. Und an Bahnhöfen mit etwas längerer Aufenthaltsdauer wird mit Hilfe des Bahnhämmerchens der Zug bzw. die Achsen und Bremsen abgehorcht. Wenn der Klang gewohnt ist (ob in Ordnung ist damit noch nicht abschliessend geklärt) geht es zum nächsten Bauteil von besonderer Wichtigkeit am Waggon und „klopf, klopf“.
Bi"g" T
Hallo Marcus,
schöner Auftakt und prima das Du gleich so herzlich aufgenommen wurdest! Wodka und Winter sind scheinbar eine gute Kombination!
Gute Weiterreise!
Ralph
Über Russland sagte mir gerade gestern ein Kunde: Ich weiß gar nicht, warum wir so viel Angst vor denen haben. Das ist doch sowieso nur menschenleeres Land mit vielen Birken und Sümpfen.
Scheinst Du irgendwie bestätigen zu können 🙂